Praxis-Check bei CONTENTshift: Haben Preisträger und Finalisten vergangener Jahre ihre Geschäftsidee zum Fliegen gebracht? Erfahrungen aus dem Förderprogramm für Start-ups bündelte ein Alumni-Treffen am 8. März in Frankfurt – mit einer Erkenntnis, die Verlage nachdenklich machen sollte.
Während die Ausschreibung für das Förderprogramm 2023 läuft, nutzte das CONTENTshift-Team des Börsenvereins die Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch - und sammelte in kurzen Vorträgen Erfahrungen von fünf Start-up-Finalisten der Vorjahre ein.
Vor Mitgliedern der aktuellen Jury und der Coaching-Crew gaben die jungen Firmen QualiFiction, READO, L-Pub, eKidz und Mitmalfilm ein Update, wie sich ihr Geschäftsmodell seit dem Wettbewerb entwickelt und verändert hat.
2019 wurde QualiFiction zum Start-up des Jahres gekürt. Die Jury war fasziniert von dem Geschäftsmodell, Manuskripte auf ihr Potenzial hin zu analysieren (mehr dazu hier). „QualiFiction kann sowohl bei der Vorauswahl wie auch bei der gezielten Vermarktung helfen und unterstützt damit Verlage, effizienter zu arbeiten, Kosten zu sparen und besser zu kalkulieren,“ hieß es damals in der Begründung.
Eigentlich, so würde man vermuten, müsste sich das Start-up vor Anfragen aus Verlagen kaum retten können. Doch auch wenn QualiFiction heute eine Erfolgsgeschichte zu erzählen hat (etwa durch ein gemeinsames Projekt mit MVB bei der Einführung der Lesemotive) – das Geschäft mit Verlagen hat sich anders entwickelt als gedacht. Das berichtete Co-Gründer Ralf Winkler jetzt in Frankfurt.
Gesprächspartner auf Geschäftsführungsebene seien zwar oft begeistert von den Möglichkeiten, die QualiFiction biete - schwierig sei es jedoch, dann auch wirklich mit digitalen Produkten in den Verlagshäusern anzudocken. Oft gebe es keine Ansprechpartner in der IT, um ein neues Projekt aufzusetzen und voranzutreiben: „Uns fehlt einfach der Gegenpart auf Verlagsseite“.
Ein Grund, warum QualiFiction heute eher auf Microservices für die Branche setzt, wie bei der Kooperation mit MVB – und auf die Zusammenarbeit mit Autorinnen und Autoren. „Die Bäume wachsen nicht in den Himmel, aber wir sind auf einem guten Weg“, so Winkler.
Sein Fazit zu CONTENTshift: Die Teilnahme am Wettbewerb sei schön, die Auszeichnung eine Bestätigung fürs Team gewesen. „Wir haben einfach besser verstanden, was für die Branche wichtig ist.“ Für die nächsten Runden des Förderprogramms empfiehlt er, Start-ups, die sich erfolgreich am Markt etabliert haben, in den Coaching-Prozess einzubeziehen: „Sie können direkter und ungeschminkter auf die Fußangeln in der Buchbranche hinweisen.“
Durch CONTENTshift haben wir einfach besser verstanden, was für die Branche wichtig ist. Ralf Winkler, QualiFiction
READO wurde 2021 als Start-up des Jahres ausgezeichnet (mehr dazu hier), breiter bekannt wurde das junge Unternehmen mit seinen automatisierten Buchempfehlungen durch einen Auftritt im TV-Format „Höhle der Löwen“: „Wir haben viele Deals gewonnen, aber viele sind auch geplatzt“, so das Resümee von Co-Gründer Jonathan Mondorf.
READO analysiert mithilfe Künstlicher Intelligenz und anhand von Buchbewertungen im Internet, welche Emotionen ein bestimmtes Buch bei den Leser:innen weckt. Daraus generiert der App-Anbieter passgenaue Leseempfehlungen – etwa in der „Sozialen Bücher-App“ von READO.
Die User der App seien sehr buchaffin und würden täglich 800 bis 1000 eigene Rezensionen hochladen, so Mondorf. READO kooperiert, wie QualiFiction, ebenfalls mit MVB (mehr dazu hier). Sein Learning aus den vergangenen Jahren fasst Mondorf so zusammen: „Bevor sich eine App monetarisieren lässt, muss sie erst einmal erkennbaren Nutzen generieren“.
Im Moment ist das Team dabei, das Marketing auf professionelle Beine zu stellen und die Reichweite zu erhöhen. Außerdem wurde frisches Geld eingesammelt (mehr dazu hier). Bei der App arbeitet READO derzeit an Tracking-Möglichkeiten für die User – zum Beispiel, wie viele Seiten sie am Tag oder in der Woche gelesen haben. „Unsere Zielgruppe liest 50 Bücher und mehr im Jahr“, so Mondorf: „Sie hat ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse“. Ganz oben auf den Leselisten in der App: New und Young-Adult-Titel, Romance, Fantasy, Gegenwartsliteratur.
Bevor sich eine App monetarisieren lässt, muss sie erst einmal erkennbaren Nutzen generieren. Jonathan Mondorf, READO
L-Pub gehörte 2017 zu den Finalisten des Wettbewerbs und bietet eine technologiegetriebene Lösung zum Sprachenlernen an (mehr dazu hier). CONTENTshift habe ihm Kontakte zu unzähligen Verlagen auf Entscheider-Ebene und potenziellen Investoren ermöglicht, berichtete Gründer David P. Steel (ein Archiv-Interview mit ihm lesen Sie hier). Verlage hätten seine Idee jedoch oft schwer einordnen können: „Sind wir nun Dienstleister, Partner, Kunde, Lizenznehmer oder Konkurrent?“
L-Pub hat zwar einzelne Verlagspartner wie Pons gewonnen, insgesamt sei die Bereitschaft zur Kooperation in der Verlagswelt aber eher gering – anders als in der Bildungsbranche, berichtet Steel. Ende März präsentiert sich L-Pub beispielsweise bei BETT, einer Messe für „Educational Technology“ in London.
Sind wir nun Dienstleister, Partner, Kunde, Lizenznehmer oder Konkurrent? David P. Steel, L-Pub
eKidz ist ebenfalls ein „EdTech“-Start-up und stand 2018 im CONTENTshift-Finale (mehr dazu hier). Die Anwendung ermöglicht das personalisierte Lesen- und Sprachenlernen und könne „die globale Bildungskrise lösen“, warb die ukrainische Gründerin Nataliya Tetruyeva, beim Alumni-Treffen via Video-Call zugeschaltet.
Der „EdTech“-Markt wachse rasant, eKidz sei auf dem Weg in die Internationalisierung, etwa in Spanien und den USA. In Deutschland hat unter anderem Niedersachsen für seine Schulen eKidz-Pakete angeschafft, die sich als „mobiles Sprachlabor“ beschreiben lassen, inklusive Feedbackkanal für die Lehrkraft. Auch eKidz hat versucht, mit deutschen Verlagen ins Geschäft zu kommen, andere Länder hätten jedoch deutlich mehr Freude an digitalen Tools, wie es Tetruyeva diplomatisch formulierte (ein Archiv-Interview mit ihr sehen Sie hier).
Der Markt für Education Technology wächst rasant. Nataliya Tetruyeva, eKidz
Mitmalfilm, 2019 bei CONTENTshift nominiert (mehr dazu hier), hatte einen deutschen Verlagspartner – nämlich Oetinger. Leider erschien das gemeinsame Buchprojekt beim Oetinger-Label Migo 2020 mitten in der Corona-Krise. Weil die Idee hinter Mitmalfilm erklärungsbedürftig ist und die Bücher mit 18 Euro vergleichsweise teuer sind, war die Nachfrage nicht so groß wie erhofft.
Bei Mitmalfilm (ein Archiv-Interview hier) können Kinder Malvorlagen gestalten und beispielsweise eine Landschaft ausmalen – die dann über eine kostenlose App in einen vorhandenen Zeichentrickfilm integriert wird. Uli Seis hat Mitmalfilm gemeinsam mit seiner Frau Alice von Gwinner in Leipzig gegründet. Er produziert die Filme, sie entwickelt die Drehbücher.
Direkt nach dem CONTENTshift-Pitch auf der Frankfurter Buchmesse führten die zwei das erste Gespräch mit Oetinger. Das daraus entstandene Buch „Claude Momäh und die große Leinwand“ ist nach wie vor lieferbar, heute vertreibt das Paar die Produkte allerdings wieder im Alleingang – etwa auf Weihnachtsmärkten.
Parallel dazu ist als „solides zweites Standbein“ ein florierendes Workshop-Programm rund um Zeichentrickfilme entstanden. Der Vorteil: Für die Trickfilmworkshops werden nur Stifte, die Malvorlagen und ein Laptop benötigt – und die Runde steht vielen Kindern offen.
„Malbuch, Trickfilm, App, Medienpädagogik – wir sitzen zwischen allen Stühlen und Branchen“, so Seis in Frankfurt. Vielleicht habe sich auch deshalb nach Oetinger nur noch ein weiterer Verlag für das Produkt interessiert, darin allerdings kein Potenzial für den angestrebten Massenmarkt erkannt. Schade eigentlich, denn für den Buchhandel könnte Mitmalfilm als frische Geschenkidee, aber auch für Aktionen durchaus interessant sein.
Malbuch, Trickfilm, App, Medienpädagogik – wir sitzen zwischen allen Stühlen und Branchen. Uli Seis, Mitmalfilm
Dass Verlage den innovativen Content-Start-ups nur sehr verhalten Tür, Tor und Geldbeutel öffnen – diese Erkenntnis zog sich für Jury-Mitglied Detlef Büttner (Lehmanns Media) wie ein roter Faden durch das Alumni-Treffen im Haus des Buches, wie er zum Abschluss festhielt. Zugleich arbeitet CONTENTshift seit 2016 daran, genau diese Zurückhaltung gegenüber dem Neuen aufzubrechen.
Nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ bringt das Förderprogramm Branchenfirmen und Start-ups zusammen – durch Netzwerk-Events, aber auch durch die Möglichkeit, sich via Sponsoring einen Platz in der Jury zu sichern (wie 2023 etwa Cornelsen und teNeues, zur aktuellen Jury und den Coaches geht es hier).
Ob mit oder ohne Verlagspartner: In jedem Fall dürfte für alle Start-ups beim Alumni-Treffen gelten, was sich QualiFiction-Gründer Ralf Winkler am Ende seiner Präsentation wünschte: „Auf weitere spannende Jahre“.
Artikel von:Sabine Cronau